
Angst- und Zwangsstörung, somatoforme Störungen
Angst ist eine normale, sinnvolle und lebensgeschichtlich sehr alte Reaktion auf Reize, die Gefahren signalisieren. Sie führt zur sogenannten fright-fight-flight-Reaktion (Stillhalten-Kämpfen-Fliehen).
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Grundlagen
Man unterscheidet vier Komponenten der Angstreaktion, die sich sinnvoll ergänzen:
- vegetative Reaktion (körperliche Reaktion durch Ausschüttung von Stresshormonen)
- emotionale Reaktion (Gefühl der Bedrohung)
- gedankliche Reaktion ("Ich bin in Gefahr, lauf schnell weg")
- motorische Reaktion (schnellstmögliche Flucht)
Hieraus erklären sich die körperlichen Erscheinungen der Angst wie Schwindelgefühl, Schwitzen (schweißnasse Hände), Bluthochdruck, Herzrasen, erweiterte Pupillen, körperliche Unruhe, Gefühl in Ohnmacht zu fallen, Kribbeln in Armen und Beinen, Zittern, Magenschmerzen, häufiges Wasserlassen, Durchfall.
Wenn Angst völlig losgelöst von Bedrohungssituationen oder bei harmlosen Stimuli in inadäquat ausgeprägter Form auftritt, handelt es sich um eine Form der Angsterkrankung.
Man unterteilt Angststörungen in 5 große Hauptgruppen, mittlerweile werden als 6. Gruppe auch die somatoformen Störungen hinzugerechnet:
- Phobische Störungen (mit und ohne Panik)
- Panikstörung (episodische Angst)
- Generalisierte Angststörung
- Zwangsstörung
- Posttraumatische Belastungsstörung
- Somatoforme Störungen
Phobie
Es handelt sich um die unangemessene Angst vor einem spezifischen Reiz oder einer bestimmten Situation. Am bekanntesten ist die Spinnenphobie, die aber selten Krankheitswert hat. Klinisch sind am wichtigsten die Agoraphobie und die soziale Phobie.
Bei der Agoraphobie handelt es sich um eine komplexe Phobie, bei der Situationen und Orte, die als gefährlich erlebt werden, vermieden werden. Dazu gehören Menschenmengen, öffentliche Plätze, weite Entfernungen von zu Hause, enge Räume (U-Bahn, Bus), Dunkelheit; sie kann mit und ohne Panikstörung auftreten. Die Lebenszeitprävalenzrate liegt bei 2 bis 3 %, der Erkrankungsbeginn zwischen 15 und 35 Jahren, ca. 80 % Frauen.
Die soziale Phobie äußert sich durch die unangemessene Furcht vor anderen Menschen und daraus folgend durch die Vermeidung sozialer Situationen, insbesondere solcher, in denen der Betroffene erwartet, beobachtet und bewertet zu werden, unterschiedliche Ausprägungsgrade von "Furcht, öffentlich zu sprechen bis hin zur völligen Kontaktvermeidung mit anderen.
Panikstörungen
Es handelt sich um wiederkehrende Angst- und Panikzustände ohne gut erkennbaren Auslöser (oft ein Gedanke), die plötzlich auftreten und gekennzeichnet sind durch Herzklopfen, Brustschmerz, Erstickungsgefühle, Schwindel, Depersonalisation oder Derealisation. Sie dauern meist 5 Minuten oder etwas länger und in der Folge entwickeln Patienten Angst vor der Angst bzw. Angst vor den Symptomen und Konsequenzen der Angst wie die Furcht zu sterben, Angst, die Kontrolle zu verlieren oder die Angst, verrückt zu werden.
Generalisierte Angststörung
Das Hauptmerkmal sind ausgeprägte allgemeine und vielfältige Sorgen und Ängste, die länger als 6 Monate andauern und sich nicht nur auf bestimmte Situationen beschränken. Der Betroffene kann sich schwer kontrollieren, fühlt sich dadurch sehr beeinträchtigt und zeigt mindestens 3 der folgenden Symptome zusätzlich: Muskelanspannung, Ruhelosigkeit, Ermüdbarkeit, Konzentrationsstörungen, Schlafstörungen und Reizbarkeit.
Zwangsstörung
Es handelt sich um das Wiederkehren von meist als unsinnig empfundenen und ständig wiederkehrenden Gedanken und Handlungen, die vom Betroffenen nicht einfach beendet werden können und als quälend empfunden werden. Eine große Zeit des Tages ist damit ausgefüllt, so dass wenig freie Zeit bleibt, um den normalen Tagesaktivitäten nachzugehen. Bei einer Lebenszeitprävalenz von 2,5 % und einem Beginn der Erkrankung mit durchschnittlich 15 Jahren, wobei die Diagnose meist erst 15 Jahre später gestellt wird, führt dies zu großen Einschränkungen im privaten und beruflichen Leben. Bei den Zwangsgedanken herrschen Verunreinigungsgedanken, aggressive Impulse, ständiges Zweifeln, Gedanken zur Symmetrie und hinsichtlich körperlicher Beschwerden sowie sexuelle Impulse und Gedanken oder eine Mischung beider vor. Bei den Zwangshandlungen überwiegen Kontrollhandlungen, Waschzwang und Zählrituale.
Behandlung am Beispiel der Agoraphobie
Wir verfolgen einen integrierten Behandlungsansatz, der sowohl pharmakologische als auch verhaltenstherapeutische Maßnahmen beinhaltet. Bei Angststörungen sind insbesondere serotonerg wirksame Antidepressiva erprobt (sog. SSRI´s), die auch die oft begleitende Depression mitbehandeln und Panikattacken reduzieren. Verhaltenstherapeutisch steht am Anfang die Erarbeitung einer Verhaltensanalyse und eines Krankheitsmodells gemeinsam mit dem Patienten. Danach erfolgt die notwendige Durchbrechung des Meideverhaltens, z.B. durch anfangs gemeinsames Aufsuchen der angstmachenden Situation, wobei auf die körperlichen, emotionalen und gedanklichen Reaktionen geachtet werden soll, die dann möglichst in einen neuen realistischen Kontext gebracht werden (kognitive Umstrukturierung und Beobachtung automatischer Gedanken). Bei dieser Verhaltensübung (Reizexposition und Reaktionsexposition) lernt der Betroffene im Verlauf das Management seiner Reaktionen und Gedanken, die Ungefährlichkeit der Situation, so dass das Selbstvertrauen wieder wächst, in dem Maße wie die Angst abnimmt.